Freitag, 25. April 2008

Gelesen: Siri Hustvedt: Was ich liebte


Und an dieser Stelle eine Rezension, die ich zu Siri Hustvedts Roman: Was ich liebte geschrieben habe.
Rezension zu:
Hustvedt, Siri (2006): Was ich liebte. Roman. 14. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rororo, 23309).

Aus der Perspektive des fast erblindeten und mittlerweile erimittierten Kunstprofessors Leo Hertz erzählt Siri Hustvedt uns die Lebensgeschichten zweier befreundeter Künstlerfamilien im New Yorker Stadtteil Soho.

Leo Hertz floh im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern aus dem faschistischen Deutschland in die USA. Seine restliche Familie wurde in Theresienstadt getötet, ihre Fotos bewahrt Leo sorgfältig in einer Schublade auf. Im Laufe seines Lebens gesellen sich weitere Relikte zu den Fotos, in einsamen Stunden betrachtet er diese Objekte und bewegt sie hin und her, um in den so entstehenden Relationierungen den Geschehnissen seines Lebens und den dazugehörigen Geschichten nachzuspüren. Überhaupt ist Leo mehr Beobachter als Akteur; er betrachtet und beschreibt die Bilder und Objekte seines besten Freundes Bill Wechsler, nimmt intensiv Anteil an der Forschungsarbeit von dessen Frau Violet zu kulturwissenschaftlichen Themen wie Hysterie und Essstörungen und liest die Arbeiten seiner Frau Erica zu Henry James. Außerdem beschreibt er den Lesern die Leben und Leiden der beiden Künsterfamilien zwischen den Galerien, Lofts und Ateliers von New Yorks Künstlerviertel Soho, seine tiefe Freundschaft zu dem immer populärer werdenden und doch recht umstrittenen Objektkünstler Bill Wechsler über alle Schicksalschläge hinweg und reflektiert liebevoll das Aufwachsen seines Sohnes Matt.

Matt will allem Anschein nach in die Fußstapfen seines "Onkels" Bill treten; schon im Alter von sechs Jahren malt er detailreiche Stadtlandschaften, in denen sich skurrile Figuren tummeln. Sein bester Freund, Bills und Violets Sohn Mark, leidet etwas unter dem Pendeln zwischen seinem Vater Bill und seiner unterkühlten und geheimnisvollen Mutter Lucille, die ihren Exmann Bill an Violet verloren hat.
Der Roman besteht aus drei chronologisch auf einander folgenden Teilen. Der erste Teil beschreibt das Kennenlernen der vier Hauptprotagonisten, ihre Freundschaft, ihre Liebe, ihr künstlerisches und geistiges Schaffen und ihr Streben in einem sich durch die Jahrzehnte verändernden gesellschaftlichen Klima. Mit einem unerwarteten Schicksalsschlag beginnt der zweite Teil. Er erschüttert das Leben der Familie Hertz. So sehr sie sich ihr altes Leben, ihr altes Selbst zurückwünschen, nie wieder wird es so sein wie zuvor und ihr gemeinsames Leben wird in seinen Grundannahmen durcheinandergeworfen und verändert.

Im dritten Teil schließlich gibt es wiederum viele unterschiedliche Aspekte im Erzähl- und Bewusstseinsstrom des Leo Hertz, der Fokus liegt jedoch auf der schwierigen Adoleszens des jungen Mark Wechsler, Bills und Lucilles Sohn. Mark bewegt sich in merkwürdigen Kreisen der Kunst-, Party- und Drogenszene New Yorks, er stiehlt, er reißt aus und er belügt seine Eltern.
Als Freund der Familie Wechsler beobachtet Leo Marks Ausschweifungen und verstrickt sich in Marks gefährliche Lügengeschichten.
Ganz nebenbei gibt hier Siri Hustvedt kleine Denkanstöße über das Wesen des Guten und des Bösen: Ist der Mensch per se moralisch oder erhält er sein Gewissen erst durch erzieherische Aufklärung?
Gibt es "das Böse" und welche Art von Zeitgeist fördert es zu Tage?
Zu Ende des immer spannender und beklemmender werdenden Romans haben wir mit Leo ein Abenteuer überstanden.

Wir sind, wie so oft, mit Leo in dessen Arbeitszimmer, er ruht seine halb blinden Augen vom anstrengenden Schreiben seiner Autobiografie aus. Leo wartet auf den befreundeten Künstler Laszlo, der ihm aus Musils "Mann ohne Eigenschaften" vorlesen wird, eine Anspielung auf die erwähnte subtile Moraldebatte über das Böse, die allerdings nicht expliziert, sondern durch Charakterisierungen und innere Monologe Leos sowie durch Diskussionen zwischen Leo, Erica, Violet und Bill geführt wird.
Es ist beeindruckend, wie Themen aus Bereichen der Sozialwissenschaften und der Kunsttheorie wie nebenbei erwähnt werden, ohne aber im Oberflächlichen zu verbleiben. Wir als Leser und Leserinnen haben Teil an der akademischen Forschungsarbeit und den nachvollziehbar bis ins Detail reflektierten emotionalen Zuständen der Protagonisten, was dazu führt, dass man sich den Akteuren recht nah fühlt und auch nach der Lektüre noch an sie denkt wie an alte Freunde.

Der Roman unterhält seine Leser intelligent und Siri Hustvedt schafft es, die Lebensgeschichte des Leo Hertz und seiner Nächsten spannend und mit ungewöhnlich immersiver Wirkung zu erzählen.
Dies ist kein seichter Unterhaltungsroman, den man mal eben nebenbei liest.
Dass man mit Lust den seitenlangen Ausführungen zu Bildkunst, Rezeptionsästhetik und dem Wesen der Kunst an sich folgt, ist Hustvedts flüssigem detailreichen Stil zuzuschreiben, dem man gut folgen kann und will.
Paul Austers Ehefrau hat einen vielschichtigen Roman geschrieben, den ich sicher noch öfter lesen werde, um weitere Details und Lesarten zu entdecken.

1 Kommentar:

Danke für deinen Kommentar!
Ich habe nichts gegen Bloglinks, gucke aber sowieso bei jedem unbekannten Namen mal rüber. ;-)
Einen schönen Tag wünsche ich!